Was ist SO RICHTIG FALSCH?

Ein Bürger*innen-Projekt der Theaterwerkstatt Quakenbrück hat das Richtige im Falschen gesucht und umgekehrt. Herausgekommen ist und sind: 

 

Ein Stück Theater. Viele Stückchen. Spiel, Szene, Chor, Quatsch, Experiment, Fehler, Ideen, Geschichten. Außer0rdentlich viele Geschichten ergeben sich aus der einfachen Wendung vom „richtig Falschen“ und vom "Richtigen", das voll daneben liegt. Ob man den Titel aber wörtlich nimmt oder moralisch, frech, anarchistisch oder alltagssprachlich, verspielt oder philosophisch: Aus dem weiten Feld von Regeln, Gesetzen, Meinungen, Fundstücken und Stilblüten haben 15 Menschen aus Quakenbrück und Umgebung, gemeinsam mit dem Leitungsteam, eine Art Falschrum-Theater entwickelt, eine Picknick-Show im Schnee, ein märchenhaftes Stückwerk Realität, ein "Findesurium". Verkehrte Welt(en), richtig gute Ideen.

In der Anfangszeit haben wir geschrieben (mit "links"), improvisiert (mit festen Texten), abgestimmt (undemokratisch), gefuttert (Salami auf Nutella), gewartet (spannend), geschrieben (lauthals), Fragen unbeantwortet gelassen, ernsthaft gespielt und absichtlich nicht(s) gelernt.

So haben wir uns rückwärts dem Anfang genähert, an dem dann der Vorhang erstmal zugezogen wurde. Dann die Puppen tanzen lassen und uns/einander ausgefragt: „Was machst du immer wieder falsch, obwohl du es besser weißt?“. „Auf welches Verhalten deiner Mitmenschen reagierst du allergisch?“. „Bist du schon mal durch einen Fehler klüger geworden?.“ „Was geht gar nicht?“. In der so entstandenen Theaterprojektgruppe auf Zeit wuchsen alle über das gemeinsame Spiel so richtig richtig zusammen. Da lachte man nicht über-, sondern schnell miteinander. Etwa bei der Aufgabe, mit Absicht schlecht zu tanzen. Übrigens eine der schwierigeren Übungen, denn da tanzt man nicht nur gegen den Takt, sondern auch gegen die eigene Eitelkeit an.

Cool oder schön oder gut sind was anderes?

Aber wenn man ein bisschen länger nachdenkt, dann kann man zu dem Schluss kommen, dass nur die „Uncoolen“ sich zu doof sind für das „Uncoole“. Alles nur eine Frage der Perspektive. Eine andere Herausforderung: Lauf in den Klamotten durch die Stadt, die du so richtig hässlich findest. Halte aus, dass es aussieht wie dein Geschmack. Vor allem für Teenager eine knallharte Mutprobe. Sprich eine Liebeserklärung so, als würdest du dein Gegenüber ekelhaft finden. Seltsam, wie aus einer Kritik Lob werden kann. Aber auch ganz schön seltsam. Glaubhaft? Weniger. Seltsam schön. Bescheuert. Ach, super.

Theatraler Fächer

Nachdem aus all dem erspielten und erfragten Material, aus Gedankenbruchstücken und Rollenbildern nach und nach Texte von der Autorin zurück auf die Bühne kamen, wurde es immer konkreter, ernster? Ja, schon auch. Aber ein Hintertürchen durfte immer offen bleiben. Sperrangelweit. Trotzdem hieß es irgendwann ganz konventionel, richtig? Szenen bauen und Kostümfragen klären, Monologe, Dialoge und Gruppenszenen mit den Regisseurinnen einstudieren. Das Textbuch schwoll an. Eine zusammenhängende Geschichte suchte man darin aber vergeblich. Mal unpassend, mal Arsch auf Eimer, so richtig schön falsch war das. Prominente kamen hier zusammen und namenlose Typen, Elfchen und Publikums-Beobachter*innen. Harry Potter, Rossi, Gisela und Dr.Einsam, Channaya, Jeremy und Kevin, Romy und Julian, Sarah und Elsa, Agent Q und P und X und viele andere machten den Zuschauer*innen denKopf auf, wo er sehr fest auf dem starren Hals saß - zum Gück empfanden die das als Massage! SO RICHTIG FALSCH ist ein Stückwerk geworden, bei dem man das Pferd von hinten aufzäumen und mit Galopp aus dem Takt kommen durfte. Wir betonten in dieser Produktion Momente stärker als Stories, feste Rollen gab es nicht, das Verspielte und Schräge standen mehr im Mittelpunkt als das Dramatische. Das musste ja so kommen? Ja, ganz richtig. Es hätte aber auch ganz anders laufen können. Und das wäre auch nicht falsch gewesen. Äh, richtig. Oder doch? Wir haben gelernt, dann doch, dass es nicht schaden kann, Dinge immer mal wieder in Frage zu stellen, das Schema F einmal kritisch zu betrachten. Denn es ist viel mehr möglich, als man, du, ich so denk(s)t.

 

Nico

 Gedanken zum Bürger*inenn-Projekt SO RICHTIG FALSCH von der Theaterwerkstatt Quakenbrück, das gerade in die Zielgerade geht – und doch eigentlich schon den Aufkleber „erfüllt“ verdient

 

Der Impuls

Die Tochter der Autorin kommt von der Schule nach Hause und erzählt von ihrer Mathelehrerin, die sehr glücklich über einen Fehler von ihr war. „Oh Super, danke Linn“, hat sie gesagt, „das ist ein ganz toller Fehler, den du da gemacht hast, das hilft uns wirklich weiter“. Das war nicht ironisch gemeint, sondern ganz ernst. Denn anhand des Fehlers konnte sie den Kindern eine Formel ganz besonders anschaulich näher bringen. Und hat man nicht auch schon manches Mal von den besonderen Methoden in der Ideenschmiede des so genannten Silicon Valley gehört, wo Google, Apple, Youtube und Ebay, Windows, Whatsapp, Snapchat und Minecraft erschaffen wurden? Man munkelt, dort bekommen Mitarbeiter mit den besten Fehlern eine Gehaltserhöhung und wer scheitert, bekommt sofort eine zweite, eine dritte Chance und ein Startguthaben für das neue Projekt. So ein Umgang mit Fehlern, mit dem Scheitern, ist in Deutschland nicht vorstellbar. Hier sind Fehler tendenziell peinlich, und übers Scheitern redet man nicht. Manchmal bekommt man danach keinen Fuß mehr auf die Erde. Was ist das überhaupt, Fehlermanagement?

 

Was finden wir richtig, was falsch, was ist fehlerhaft, was wahr?

 

Vielleicht kann man dieses weite Feld ja im ländlichen Niedersachsen beackern, vielleicht ist ja den Quakenbrücker*innen die Wahrheit zumutbar und das Fehlen nicht nur eine moralische Kategorie? haben sich drei Kulturpädagoginnen gedacht und in Kooperation mit der Theaterwerkstatt Quakenbrück eine Bürgerbühne ins Leben gerufen. Menschen zwischen 6 und 100 durften sich anmelden für Workshops, fürs Theaterspielen, aber auch fürs Forschen und Denken, Schreiben, Diskutieren und Suchen, aus dem Nähkästchen plaudern und zu besonderen Orten reisen. Etwa ins Gericht, dem Hort der Wahrheit und der blinden Justizia, ins Kino, um Florence Foster Jenkins beim Falschsingen zu genießen oder zu ertragen, ins Altenheim, um Geschichten zu finden, die mit einem Fehler beginnen und einem Happy End aufhören.

 

Mutproben und Fragen

 

Einmal in den schlimmsten Klamotten durch die Stadt laufen, und sich nicht als Karnevalsjeck outen – wer schafft diese Mutprobe, was für Erfahrungen machen wir, mit anderen, mit unseren Gefühlen dabei? 20 Menschen, viele davon zwischen 10 und 20, wenige deutlich älter, fast alle mit deutschen und einige mit Zuwanderungsgeschichten aus anderen Ländern haben sich zu dem Projekt angemeldet, zu allen Schandtaten bereit. Sie haben Fragebögen ausgefüllt („Was machst du immer wieder falsch?“; „Welche Fehler hältst du bei anderen kaum aus?“; „Welche Regeln, in der Schule, im Verkehr, zuhause findest du nicht richtig?“), haben Ausreden gehalten und den falschen Einsatz auf der Bühne geprobt – der manchmal schwieriger ist als der richtige, dann, irgendwann. Falsch singen im Chor, doof tanzen gehören auch dazu.

  

Vom Probieren zum Schreiben zum Proben

 

Und so kristallisierte sich über die letzten Wochen ein Theaterstück heraus, bei dem die Texte alle von den Teilnehmer*innen inspiriert sind und dann von einer Autorin aus Göttingen in Form gebracht, zugespitzt und verändert werden.

 

Zwei Regisseurinnen aus Quakenbrück setzen die Texte dann wieder zusammen, proben den Fall Theater, der diesmal nicht ernst sein muss, aber darf, und auch einen Premierentermin hat: Den 14. Oktober. Bis dahin werden weiterhin Filme gedreht und neue Texte in die Collage gefügt, wird gefehlt und verpasst, übertrieben und vergessen, falsch verstanden und aus Versehen auch öfters mal alles richtig gemacht.

 

Was ist der (Un)Sinn der Sache?

 

Den Kopf aufzumachen für Regeln, die man hinterfragen kann und darf, für die richtigen Gesetze und die falschen Urteile. Herauszufinden, warum man Dinge bewertet, wie man es tut, warum, wie sehr man Vorurteile hat und wo man sie bedient. Die Sprache des Theaters ist dafür die perfekte Ausgangsbasis, hier ist aller erlaubt, man kann sich ausprobieren, und trotzdem hat die Bühne eine Begrenzung, man ist nicht verloren im Weltall. Es kann hier alles verhandelt werden. „Du hast mich nicht deshalb falsch verstanden, weil ich deine Sprache nicht spreche, sondern darum, weil du meinen Augen nicht zugehört hast“. „Du hast mich verstanden, obwohl wir aus unterschiedlichen Ländern kommen, denn wir haben erkannt, dass wir mehr gemeinsam haben, als wir glauben – zuallererst die Sehnsucht nach Nähe, nach Kommunikation, das Herz und die Nieren und die Leber und die Milz an der gleichen Stelle und vielleicht sogar am rechten Fleck“. Und wir haben festgestellt, dass es nicht die dummen Menschen sind, die versagen, Fehler machen, sondern die Mutigen, die Pioniere, die Waghalsigen und die Originellen, auch die Langsamen, gerade die Perfektionisten, die Kontrollierten. Gerade Letztere stellen sich gerne selbst ein Bein. Ein Fehler. Sie verdienen alle viele Chancen, damit es einmal Peng macht und eine neue Erfindung, eine gute Idee und ein tolles Konzept die Welt erblicken. Und wenn etwas nicht funktioniert, hilft es, Fragen zu stellen, den Fehler anzugucken, vor aller Augen, und ihm einen kurzen Augenblick lang Applaus zu zollen, denn der Umweg, der uns zu ihm gebracht hat, war schön und lehrreich.

 

Genial sein kann ja jeder,

 

aber nur wer übt, wird Meister. Manchmal heißt üben übrigens auch lügen. Denn das Virtuose verdeckt allzuoft die Schönheit des Provisorischen, die Freiheit, Gelöstheit, Unbekümmertheit. Und all das steckt im Probenprozess, warum der bei diesen kulturpädagogischen Projekten auch der Sinn ist: die Erlaubnis zum Falschmachen senkt den Blutdruck, erhöht den Serotoninspiegel, lässt die Nebennierenrinde schöne Mengen von Dopamin bereitstellen und weicht Schulterverspannung auf im Nu. In dem Sinne kann man jetzt schon sagen, dass das Projekt ein voller Erfolg ist, weil es sich beim Proben und Versuchen erfüllt, nicht in dem Abliefern eines Produkts zu einem bestimmten Termin. Darauf allerdings verzichten will das SO RICHTIG FALSCHE Team nicht. Denn das Gute ist ja, das man nichts falsch machen kann. Naja, ganz ehrlich ist das natürlich nicht. Aber wenigstens merkt es nicht unbedingt jeder....Und wenn doch ist das ja noch besser, dann kann man ja darüber nachdenken! Oder lachen.

 

Nicola Bongard

Erster Plakatentwurf... aber alles noch nicht so richtig falsch

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