SO RICHTIG FALSCHES THEATER

 

Was ist „so richtig falsch“?

 

Im ersten Augenblick scheint es einfach, diese Frage zu beantworten. Es liegt ja auf der Hand. Kriege sind falsch, klar, aber so richtig! Spontan erweitern lässt sich die Liste des Falschen durch Betrug, Diebstahl und Folter. Schnell darauf folgen Krankheit, Lüge, Verrat. Obwohl, da wird es schon etwas komplizierter. Manche sagen, dass ihre Krankheit für sie ein Segen war, anderen hat eine Lüge aus einer schlimmen Lage befreit, beim Verrat kommt es darauf an, wen es trifft. Also gehen wir es nüchterner an. Dass zwei und zwei nicht fünf sind, lernen wir bald in der Schule, und diese Tatsache wird, von Pippi Langstrumpf mal abgesehen, ein Leben lang nicht mehr in Frage gestellt. Man kann Wörter falsch schreiben, falsche Schlüsse ziehen, falsch abbiegen – zumindest wenn das Ziel klar ist.

Aber was, wenn man es schicksalhaft betrachtet und nicht von den bloßen Fehlern ausgeht?

 

Denn manchmal erweist sich der falsche Weg, der Umweg etwa, als ziemlich richtig.

 

Hat man da doch - weißt du noch? - seine große Liebe kennen gelernt, damals, als man sich verlaufen und nach dem Weg gefragt hat und ihn dann gefunden hat für's ganze Leben. Oder man ist eben einfach nur nicht in den großen Regen gekommen, weil auf dem „falschen“ Weg Heidi uns entdeckt und im Auto mitgenommen hat. Viele Geschichten ergeben sich aus der einfachen Wendung vom „richtig Falschen“. Ob man sie wörtlich nimmt oder moralisch, anarchistisch oder alltagssprachlich, verspielt oder philosophisch: Aus dem wunderbar weiten Feld von Bedeutungen und Geschichten, Meinungen und Erlebnissen, Fundstücken und Stilblüten entwickeln wir gemeinsam ein Stück Theater. Bis zur Premiere des Stücks SO RICHTIG FALSCH, am 14. Oktober um 16 Uhr in der Theaterwerkstatt, schreiben, proben, diskutieren, feilen und spielen sie mit mal mehr, mal weniger als 19 spielwütigen Laien aus Quakenbrück. Doch bevor es ans Inhaltliche gehen konnte, wurde trainiert, allerdings immer mit (heimlichem) Bezug zum Thema. In einigen Schnupperworkshops konnten seit Februar 2017 alle interessierten Menschen zwischen 6 und 100 herausfinden, wie sie und das Theater, die Bühne, das Thema und das Leitungsteam zusammen passen. Sie haben gespielt, getanzt, Quatsch gemacht und Fragebögen bearbeitet. Was machst du immer wieder falsch, obwohl du es besser weißt? war eine der Fragen. Oder: Auf welches Verhalten deiner Mitmenschen reagierst du allergisch? Bist du schon mal durch einen Fehler klüger geworden?

 

Was geht gar nicht?

 

In der so entstandenen und inzwischen gefestigten Theatergruppe spielen viele Teenager, aber auch Kinder und Erwachsene  um die Wette. Indem sie zum Beispiel mit Absicht schlecht tanzen. Übrigens eine der schwierigeren Übungen, denn da tanzt man nicht nur gegen den Takt, sondern auch gegen die eigene Eitelkeit an. Cool ist was anderes. Aber wenn man ein bisschen länger nachdenkt, und auch das macht das „so richtig falsche“ Team, kann man zu dem Schluss kommen, dass nur die Uncoolen sich zu doof sind für das Uncoole. Alles nur eine Frage der Perspektive. Eine andere Herausforderung: Lauf in den Klamotten durch die Stadt, die du am allerhässlichsten findest. Halte aus, dass es aussieht wie dein Geschmack. Vor allem für Teenager eine knallharte Mutprobe. Sprich eine Liebeserklärung so, als würdest du dein Gegenüber ekelhaft finden.

 

Aber mach es ja „so richtig falsch“.

 

Ja, und nun aber (August 2017) haben die „wahren“ Proben begonnen. Nachdem aus all dem erspielten und erfragten Material nun nach und nach Texte von der Autorin ankommen, heißt es Szenen bauen und Kostümfragen klären, Monologe, Dialoge und Gruppenszenen einstudieren. Eine zusammenhängende Geschichte wird hier nicht erzählt, es geht um einen theatralen Fächer, der Momente stärker betont als Rollen, das Verspielte und Schräge mehr in den Mittelpunkt rückt als das Dramatische. Das liegt vielleicht auch daran, dass letztlich weniger ältere Menschen bei diesem Projekt dabei sind und die Jungen dem Thema wilder und alberner, körperlicher und verspielter begegnen. Aber auch Iris (47 Jahre) zum Beispiel wird ihren Moment haben als Psychotherapeutin in der Lampenfieber-Ambulanz, oder Tanja (44 Jahre) als Zeugin der Anklage, Maria (30 Jahre) als Verirrte am Strand oder Sigita (41 Jahre) als Elfchen-Dompteurin und Gestehende im alternativen Beichtstuhl...

 

Für das „so richtig falsche“ Team zählte von Anbeginn nicht nur das Ergebnis, die Aufführung der wilden Collage zum Thema, sondern auch der Weg dahin. Und neben den Proben sind noch Exkursionen ins Gericht geplant, um den Ort von Recht und Ordnung auf seine Richtigkeit hin zu untersuchen, oder ein Filmabend, an dem man den schrecklich schönen (oder doch nur schrecklichen?) Tönen aus dem Mund von Meryl Streep als Florence Foster Jenkins lauschen wird. Die gab es wirklich, sie sang schief und schaffte es doch in das berühmteste Opernhaus in New York. Was kann man lernen von dieser Geschichte, in der sich jemand ganz und gar über die Regeln und den „guten“ Geschmack hinwegsetzt und seinen Traum verwirklicht, vollkommen beratungsresistent?

 

Ist das tragisch oder verrückt, traurig oder bewundernswert?

 

Welche Grenzen wäre ich bereit zu überschreiten, wenn es um meine tiefsten Wünsche geht? Hab ich die eigentlich? Oder hab ich sie etwa schon begraben, bevor ich sie auf ihre Lebensfähigkeit hin untersucht habe? Was hat mir im Weg gestanden?

Am Ende wird nur ein Bruchteil von dem, was in der Theaterwerkstatt mit den Teilnehmenden des Projekts bedacht, angedacht und besprochen wurde, was sie ausprobiert und entdeckt haben, tatsächlich über die Bühne gehen. Aber darum geht es auch nicht bei einem Projekt, das ebenso den Weg wie das Theaterstück am Ende als Ziel für sich definiert hat.

 

Nico